(Text und Bilder von Yu Hui)
Im Herzen der jüngsten Tochter bleibt
immer ein Fenster geöffnet, damit ihr
verstorbener Vater wieder zu ihr kommen
und ihr seine Hand geben kann.
Wenn es ein Leben nach dem Tod gäbe,
würde sie gerne ein köstliches Gericht für
ihren Vater zubereiten.
Sie würde ihren Vater den Dienst der
Tochter genießen lassen, so als ob er
plötzlich ihr braves Kind geworden wäre.
Dabei würde sie ihren Vater nicht stören, ihn
nur still ansehen, als ob die vergangenen
Zeiten zurückkämen, als sie noch sein
kleines Mädchen war.
Sie könnte wieder die Offenheit und den
herzerfrischenden Humor des Vaters
empfinden, so würden die endlosen
Gedanken an Traurigkeit und Trennung
verschwinden.
Ihr Vater ging immer mit einer leeren
Tasche zur Arbeit und kam aber mit voller
Tasche mit Obst und Gemüse nach Hause.
Da ihr Vater immer spät, fast fünf Minuten
vor der Schließung zum Lebensmittelmarkt
kam, waren die Preise von Gemüse und
Obst zu dieser Zeit so günstig, dass sie
nur nach Haufen berechnet wurden.
Deshalb kam der Haushalt der Familie mit
den drei Töchtern und Eltern gerade so aus,
damit die Familie nicht in Armut leben
musste.
Ihre Lieblingsspeisen waren die drei immer
vom Vater gekochten Gerichte, Tofu, in
Streifen geschnittene Karotten und
Spiegeleier mit Tomaten. Sie erinnert sich
noch frisch an den Duft der Speisen und
genießt diese erinnerte Wahrnehmung.
Als der Vater die Kunstakademie besuchte,
wurden ihm von den Russischen
Professoren zum Glück die westlichen
Maltechniken beigebracht.
Seitdem trug der Vater unterwegs immer
eine Malbox zum Gepäck und malte die
ihm gefallenden Landschaften.
Er wurde später selbst Lehrer.
Wenn er nicht in seiner Welt, die aus seinen
Bildern strahlte, gelebt hätte, dann hätte er
eingesperrt durch die Kulturrevolution
seine Kräfte verloren und seine Hoffnung
aufgegeben.
Vater lebte von da an in einer poetisch
schönen Welt mit bunten Farben, wo man
keine Angst vor Drohungen und Schlägen
mehr hatte, um nicht wegen mentaler
Verzerrungen verrückt zu werden.
Wo es grün blühte und ruhige Wege gab,
wo fröhliche Balladen in die Luft
übertragen wurden, ganz so wie man es
sich erträumt hatte.
Der Vater kam aus einer Stadt im Süden.
obwohl er sehr dünn war und er sich sehr
bescheiden verhielt, in den Augen seiner
Tochter war er sehr groß und stark,
sodass er ihr jederzeit helfen und ihre
Schwächen wegnehmen konnte.
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Ein Schüler von ihm, der von den
Rotgardisten zur Verhaftung verfolgt wurde,
kam zu ihrem Vater bei seiner Flucht.
Ihr Vater reagierte sehr gelassen und
geschickt auf diese heikle Situation, und
hat das aggressive Schläger-Team
weggeschickt.
Dann bereitete er eine große Schüssel mit
Reis und Eiern für den Schüler zu, um seinen
Schock zu vertreiben und begleitete ihn ein
Stück auf dem Fluchtweg, wobei er dem
Schüler unbedingt ein bisschen Geld, alles
was in seiner Jackentasche war, gab.
Er prägte ihm ein, weit von hier
wegzukommen und gut auf sich
aufzupassen.
Ihr Vater war eigentlich in einer sehr
wohlhabenden Familie aufgewachsen. Das
Schicksal war später hart zu ihm, er hatte
sich aber darüber nie beklagt.
Er musste in dieser schweren Zeit Tag für
Tag immer wieder das gleiche
Standardportrait malen. Trotzdem
versuchte er im Portrait den Geist des
portraitierten immer perfekt aussehen
zu lassen.
Deshalb konnte die Töchter in einer
Umgebung mit einem sorglosen Vater
aufwachsen.
Als ihr Vater mit seinen Schülern beim
Zeichenunterricht auf dem Land die
Landschaft skizzierte, war er davon
begeistert und betreute die Schüler
mit Geduld und Engagement, wobei
seine Tochter als die kleinste Schülerin
ausnahmsweise auch teilgenommen hatte.
Nachdem die Malgruppe gewöhnlich ein
oder zwei Wochen im Dorf verbrachte,
wählte der Vater sorgfältig einige
bessere Zeichnungen für die Leute
des Dorfs aus, um sich bei ihnen für
die herzliche Aufnahme und
Unterkunft zu bedanken.
Das war auch die Zeit, wo das Essen seiner
Tochter und seinen Schülern sehr gut
geschmeckt hatte.
Es gab ein Feld voller süßer
Wassermelonen und jeden Tag brachten
die Dorfbewohner der Malgruppe frische
Fische aus dem Fluss zum Kochen.
Nachts lud ihr Vater die Schüler ein,
gemeinsam am Fluss zu singen, wobei die
Augen ihres Vaters in der Nacht wie ein
leuchtendes Glühwürmchen funkelten, weil
er für die Studenten und seine Tochter
Hoffnung hatte.
Vater sagte seiner Tochter immer:
"Warum soll das Lernen für ein bewusstes
Leben nutzlos sein? Die Zeit wird zu dir
kommen, indem du von deinem Wissen
profitierst".
In der politischen Situation von Damals war
das Lernen nicht erwünscht..
Vater hat Geld gespart, um seinen
Töchtern ein Transistorradio schenken zu
können. Über diese Sprechmaschine freuten
sie sich sehr. Die Mutter durfte nichts
davon wissen, sie haben das Radio daher
immer vor ihr versteckt.
Er kaufte einen Haufen Bilderbücher und
Bücher mit Erzählungen, um seine Kinder
zu motivieren, damit sie lesen und
zeichnen.
Das Lesen und Radiohören hat seiner
jüngsten Tochter die Augen geöffnet, durch
die schönen Zeichnungen wurde sie von
einer bunten Welt fasziniert und sie
versuchte auch selbst Bilder zu gestalten.
Das war in einer Zeit, wo man keinen Grund
fand zu lernen, aber welche Erfahrung
sie daraus gesammelt und welches Wissen
sie erworben hat, davon kann sie immer
noch in ihrem Leben profitieren.
Als ihr Vater noch lebte, war sie ein
Wirrkopf und sah das Wesentliche nicht klar,
ihre Hartnäckigkeit machte den Vater
manchmal traurig.
Aber er war wirklich glücklich darüber,
dass sie ein wissbegieriges Mädchen war
und eine Begabung für Kunst hat.
Er hatte nie auf seine Bemühungen um die
Zukunft der Tochter verzichtet.
Hatte er nie wegen seines Schicksals
geweint, oder nur seine Tränen versteckt?
Zum Glück hat Gott sie ihrem Vater als
Tochter gegeben, aber es schmerzt sie,
dass sie keine Möglichkeit gehabt hatte,
einmal für ihn zu sorgen.
Wenn der Geist im Himmel existieren
könnte, würde sie ihn darum bitten, ihm
ihren Wunsch auszurichten.
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